7 Faktoren für ein Ökosystem zur Digitalisierung im sozialen Sektor

Veröffentlicht am: 21.02.2019 | Geschrieben von: Tobias Oertel

Die Förderlandschaft, in der wir als Verein agieren, bietet wenig Möglichkeiten für digitale Pioniere. Dabei bietet das bestehende Verhältnis zwischen Förderern und geförderten Projekten die beste Möglichkeit gemeinsam zu lernen und die Digitalisierung auf Augenhöhe zu erschließen.

© Sebastian Schütz

Anlässlich des ersten Digital Social Summit haben wir uns entschieden, unsere Sichtweise auf die Digitalisierung im sozialen Sektor zur Diskussion zu stellen und freuen uns über Eure Meinungen!

Wir sind davon überzeugt, dass die einzigartige Struktur des sozialen Sektors ungeahnte und noch nicht erschlossene Möglichkeiten bietet, um den Prozess der Digitalisierung mitzugestalten. Diese Potentiale müssen wir gemeinsam entdecken und strategisch nutzen.

Ein Beispiel ist die Struktur der Förderbeziehungen, durch die der soziale Sektor ein großes Potential für Partnerschaften auf Augenhöhe hat, in denen digitale Projekte von Förderinnen und geförderten Organisationen umgesetzt werden und im Prozess gemeinsam gelernt wird. Hier entsteht Wissen, das später für die Steuerung von digitalen Projekten unerlässlich ist und zudem Erfahrungen, auf denen aufgebaut werden kann.

Es muss ein Ökosystem geschaffen werden, das die Grundvoraussetzungen und Rahmenbedingungen bietet, damit schlagkräftige sozial-digitale Lösungen entwickelt und skaliert werden können. Dieses Ökosystem muss auf den einzigartigen Potentialen des sozialen Sektors aufbauen, aber gleichzeitig auch erfolgreiche Modelle aus anderen Sektoren adaptieren und auf die eigenen Bedürfnisse anpassen. Von einem solchen wirksamen Ökosystem ist die Zivilgesellschaft leider weit entfernt. 
Folgende Problemstellungen haben wir identifiziert (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

1. Transsektoralität 

Digitalisierung ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, in dem die Zivilgesellschaft eine wichtige Position einnehmen sollte. Für die Umsetzung von Projekten wird jeder Akteur des dritten Sektors in Zukunft auch auf Digitalkompetenzen zurückgreifen müssen. Es ist recht unwahrscheinlich, dass diese Kompetenzen in der breiten Zivilgesellschaft zu finden sind. Deshalb muss es Brücken geben, die das gesellschaftliche Engagement von Digitalexpertinnen aus der Wirtschaft einfach zugänglich machen und ermöglichen.

2. Digitale Talente und Pioniere in der Zivilgesellschaft müssen unterstützt werden

Dem Engagement vieler junger Social Entrepreneure, die gesellschaftliche Problemstellungen mit digitalen Services und Plattformen lösen, wird immer noch mit Skepsis begegnet. Während in der Wirtschaft junge digitale Fach- und Führungskräfte, Start Up Gründerinnen und Innovatoren hofiert werden, behandelt die Zivilgesellschaft sie teilweise wie Störenfriede, die den ruhigen, eingespielten Alltag unterbrechen. Im Zweifelsfall wird der etablierten Struktur mehr vertraut als den Grünschnäbeln mit digitaler Expertise. Ganze Generationen motivierter und fähiger digitaler Pioniere werden, obwohl man sich der Förderlücken bewusst ist, entmutig und allein gelassen. So schreckt man digitale Talente eher ab, als sie für die Zivilgesellschaft zu gewinnen und an den Sektor zu binden. Dabei hat der Kampf um die Digitaltalente längst sektorübergreifend begonnen.

3. Der soziale Sektor braucht eine Fehlerkultur

Digitalisierung ist eine Entwicklung in eine unbekannte Zukunft. Es ist ein Trial- und Error-Prozess. Durch Fehler lernt man sich der nutzerzentrierten Lösung iterativ anzunähern. Die Entwicklung von digitalen Lösungen ist immer ein Prozess, der mit viel Unsicherheit verbunden ist. Die gängige Förderpraxis mit langfristigen Budgetplanungen ist darauf nicht vorbereitet. Generell darf weder geförderter Institution, noch fördernder Institution ein Fehler unterlaufen. Digitalisierung als gemeinsamer Lernprozess? Schwierig. Wir brauchen eine stärkere Kollaboration auf Augenhöhe, gemeinsame Neugier und viel Kommunikation, nicht weniger.

4. Plattformen, also Intermediäre, sind nicht die Schmuddelkinder des sozialen Sektors

Zu oft werden nur Projekte gefördert, die direkt mit den Zielgruppen arbeiten. Hier muss schnell umgedacht werden. Intermediäre sind Kernbestandteile digitaler Ökosysteme und bieten effektive Lösungen, welche die Stärken der digitalen Möglichkeiten vereinen. Plattformen sind Kern der digitalen Transformation, dies ist auch in der deutschen Wirtschaft noch nicht angekommen:

"Erkennbar wird zudem, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen: Die Förderung von Forschung und Start-ups, wie sie in den Strategien der Bundesregierung vorgesehen ist, werden in einer globalen Plattformökonomie nicht nachhaltig sein, wenn deutsche und europäische Unternehmen nicht auch Plattformen hervorbringen. Solche Portale sind Intermediäre, die sich zwischen Hersteller und Nutzer schieben und Leistungen vermitteln."

aus: ZEIT online vom 27.01.2019

5. Ohne Moos nichts los

Es gibt keine ernsthaften Förderprogramme für digitale Pioniere, die langfristig konzipiert sind, auf die neuen Bedürfnisse der digitaloperierenden Organisation eingehen und bei der Skalierung unterstützen. Es fehlt an nachhaltigen Perspektiven und wirklichen Kollaborationen zwischen fördernden Institutionen und geförderten Projekten. Digitalisierung gemeinsam meistern und gestalten, statt alleine Angst vor der Zukunft haben, sollte die Devise sein.

6. Gute Ideen gibt es viele – skaliert wird wenig

Bekannte Förderlücken werden nicht geschlossen. Ein Social Start Up nach dem anderen verbrennt in der gleichen Phase. Lösungen werden nicht skaliert, eine Unternehmerin nach der anderen entmutigt und vom Engagement enttäuscht. Digitale Talente können so nicht gehalten werden. Fatal. Es fehlt ein Ökosystem, das bekannte Förderlücken schließt. 

7. Mut zum Risiko

Es ist Zeit für den gezielten Aufbau eines sinnvollen Umfelds, in dem sozial-digitale Innovationen wachsen können. Dies beinhaltet unter anderem Förderer, die bereit sind, Risiken einzugehen. Digitalisierung heißt scheitern. Ohne Risiko keine Gestaltung. Ohne Mut keine digitale Souveränität. Diese muss man sich immer hart erarbeiten – das wird ohne eine neue Risikobereitschaft nicht möglich sein.

Wollen wir Digitalisierung gestalten oder zuschauen und kommentieren? 

Die Grundvoraussetzungen für ein solches Ökosystem, in dem skalierbare digitale, soziale Innovationen entstehen und somit digitale Souveränität in der Zukunft ermöglichen, sind gut. Der soziale Sektor startet mit einer unglaublichen Fülle an Akteuren, Erfahrungen und Möglichkeiten. Im Vergleich zu sozialen Sektoren in anderen Ländern sind die Grundvoraussetzungen wirklich nicht schlecht.

Das Innovationspotenzial der Zivilgesellschaft und des sozialen Sektors in Deutschland ist hoch. Mit über 600.000 unterschiedlichen Akteuren gibt es eine hohe Diversität und damit eine Fülle von möglichen neuen Ideen. An Ideenarmut kann es also nicht liegen.

Die Zivilgesellschaft arbeitet hier vorrangig nicht gegen staatliche Institutionen, sondern teilweise sogar mit der Unterstützung von Ministerien und staatlichen Strukturen. Das sind andere Grundvoraussetzungen als in anderen Ländern, wo sich die Akteure teilweise gegen staatlichen Druck durchsetzen müssen.

Auch die Professionalisierung des Sektors ist hoch. Es gibt eine “Sozialwirtschaft” mit den sechs Wohlfahrtsverbänden als etablierte Strukturen, Stiftungen, Verbände, Social Start Ups und Vereine in unterschiedlichen Größen und Funktionen.

Trotz hoher Diversität, Freiheit zur Gestaltung und Professionalisierung fällt es uns schwer, digitale Innovationen hervorzubringen, zu skalieren und Digitalisierung wirklich zu gestalten. Deshalb wünschen wir uns, gemeinsam mit Euch etwas daran zu ändern. 

Was müssen wir tun, um Digitalisierung zu gestalten?

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